Tagebuch
Wie mit dem Raum umgehen – das ist die Frage, die sich für die Werke von Wolfgang Bender stellt, sobald sie das Atelier des Künstlers verlassen haben und in der Welt draußen präsentiert werden. Wo und wie sie angeordnet werden, ist von entscheidender Bedeutung, um dem Betrachter die Poesie zu vermitteln, die ihnen eigen ist. Ob es sich um mit Farbe bearbeitete Fotografien oder Malerei hinter Glas handelt, die Stärke ihrer Botschaft liegt auch in der Beziehung zur Umgebung. Bei den Installationen ergänzen sich die einzelnen Arbeiten im Raum und erzeugen eine Verbindung, die ihre Poesie unterstützt und bereichert. Die Malereien hinter Glas haben auf den ersten Blick beliebige Maße und Formen. Sie scheinen an den Wänden zu schweben, ihre Anordnung im Raum erlaubt jeweils unterschiedliche Perspektiven. Die Notizen auf Papier, die täglichen Anmerkungen und die zahlreichen Fragmente bemächtigen sich des historischen und architektonisch eigenständigen Foyers im Österreichischen Kulturforum in Rom und haben hier zu einem Gleichgewicht mit der umgebenden Architektur gefunden. Mittels der zahlreichen und wichtigen post-its, die an den Wänden befestigt sind, entsteht eine umfassende Landkarte von Benders Kunst - eine Art Geografie der Zeichen, die eine Lesart der Wirklichkeit fernab von vorgefertigten Mustern ermöglicht. Das Wesentliche der Dinge wird erst bewusst, wenn man den Standpunkt wechselt und das als authentisch erkennt, was künstlich erscheint.
Sich niemals mit einer oberflächlichen Deutung der Wirklichkeit zufrieden zu geben ist einer der entscheidenden Punkte in den Untersuchungen des österreichischen Künstlers. Die Wahrheit der Dinge kann auf vielfältige Art entdeckt werden, alles kann plötzlichen Änderungen unterworfen sein und auch die Transparenz des Glases lässt unterschiedliche Interpretationen zu. Aber zu all dem braucht es einen verantwortungsvollen Betrachter mit weitem Blick, der sich auf Zweifel einlässt und der ungewöhnliche und nicht-stereotype Lesarten zu entdecken bereit ist. Inmitten dieser tausend Teile bietet der Künstler zwar seinen persönlichen Schlüssel an, um das Puzzle zusammenzusetzen, gibt aber auch zu verstehen, dass es die Mühe in jedem Fall wert ist, die Reise zu wagen – egal welche Richtung auch immer dabei eingeschlagen wird. Und dass die Kunst dafürdas nötige Rüstzeug bietet, wobei diese eher Fragen aufwirft als dass sie diese mit Sicherheit beantwortet. Das macht sie mit der ihr eigenen Leichtigkeit, so wie ein zarter, im Raum schwebender Farbstrich auf einer transparenten Oberfläche einen Weg andeuten kann. Dort, wo die Zeichen zart und dünn sind, lösen sie sich in der Transparenz des Materials auf, auf den restlichen Fragmenten bedeckt die Ölfarbe vollständig die Oberfläche und macht sie nur durch kleinste Lichtrisse im Farbauftrag sichtbar. Ob als feine Linie oder als breite Farbfläche, die Zeichen umstellen den Raum und eignen ihn sich an.
Die Glasflächen/Seiten erscheinen als Zufall, wie verstreute Notizen, tägliche Anmerkungen. Beim Lesen reflektieren sie die Erfahrungen des Alltags. Jedes Fragment trägt sein Entstehungsdatum im Titel, als soll noch einmal betont werden, dass die Zeit das Ergebnis verschiedener Erfahrungen ist, so wie ein Kalender eben aus verschiedenen Tagen besteht. Benders Ziel ist es nicht, mit einem finalen Ergebnis den Kreis zu schließen. Der Wert seines Werks liegt vielmehr in der gesammelten Erfahrung, in seinem Entstehen. Seine Kunst ist ein Prozess des Werdens, in dem es das Wort Ende nicht gibt.
Claudio Libero Pisano
http://www.kulturzeitschrift.at/kritiken/ausstellung/wolfgang-bender-im-oesterreichischen-kulturforum-rom