Kleine String-Theorie mit Karabinern

          Text von Winfried Nussbaummüller

 

         

Es ist eine künstlerische Intervention in drei Kapiteln, mit der sich Wolfgang Bender 2017 im Künstlerhaus Bregenz präsentiert: Die plastische Wandarbeit „KARABINER“ im Hauptraum des Erdgeschosses, ein anlässlich der Ausstellung publiziertes Journal und eine großformatige, goldgerahmte Fotografie eines Herrenschuhs beim Eingang, die spielerisch Bezug nimmt auf den Bijouterie-Warenfabrikanten Güllich an, der das Palais Thurn und Taxis 1848 als Wohnhaus errichten ließ. „KARABINER“ besteht aus Balsaholz-geschnitzten Rundstäben, die zu einem durchgehenden 80-Meter-Band zusammengesetzt sind. Dank kaum sichtbarer Stahlstifte schwebt die Installation wenige Zentimetern vor der Wand. In unregelmäßigen Abständen hängen Kletter-Karabinerhaken vom Seil, die ihren Dimensionen den Vorlagen aus Metall gleichen.

 

Benders geschnitztes Karabinerband ist ein Werk, in dem sich naturgemäß leicht einhaken lässt. Verschlüsse dieser Art dienen mit den meist federgestützten Schnappern herkömmlich der unkomplizierten und schnellen Befestigung von allerlei Dingen an Ösen und Schlaufen. Dies hilft bei der Absturzsicherung beim Klettern, stärkt die Stabilität von Gleitschirmen oder hält die Hunde bzw. Peter Weibel an der Leine von Valie Export. Verlässlich zusammengehalten wird damit auch Schmuck und Schlüssel. Bender transferiert die Karabiner mit einem Materialwechsel in die Kunst. Mit diesem bestens erprobten Verfahren und Stilmittel künstlerischer Arbeit wird der nun handgeschnitzte Gegenstand von Funktionalität und damit eigentlich von Verbindlichkeit befreit. Gleichzeitig tut sich hier das komplexe und stets unangenehm widersprüchliche Referenzsystem der Kunst auf, in dem unverzüglich mit jedem neuen Kunstwerk bewusst und unbewusst eine Kette von Bezugsnahmen zu anderen Werken und Kunstschaffenden aufpoppt.

 

Ein verlässlicher und damit in Beipacktexten der Kunst vielmals angeführter Versicherungshaken ist die Konzeptkunst, für die bereits mit Marcel Duchamp die Spielregeln von Kunst ausgelotet und hinterfragt wurden. Dies gilt etwa für sein „Großes Glas“, mit dem alle Kriterien eines Originals ad absurdum geführt wurden, da es zerbrochen und aufwändig restauriert wurde, Staub angesetzt hat und offiziell auch unvollendet fertig erklärt wurde. Duchamp selbst hat seine Kunst nicht kommentiert und hat uns damit, als sein in die Zukunft projiziertes Publikum, bewusst den Interpretationsspielraum gegeben. Wenn die Zufälligkeit bei den Readymades als Auswahlprinzip des Blicks und bei „3 stoppages étalon“ als Möglichkeit der Formfindung greift, ist sie hinsichtlich des Publikums ebenso gültig: das Werk ist freie Verhandlungsware. Spielerisch untermauert hat dies Duchamp als Kurator, als er 1942, um die Konvention der tradierten Wahrnehmungsmechanismen zu brechen, den Ausstellungraum von „first papers on surrealism“ komplett mit Fäden verspannte und eine Gruppe lärmenderKinder als Störfaktoren zur Eröffnung einlud.

 

Wolfgang Bender kennt und zelebriert den dialektischen Spekulationsraum der Konzeptkunst, in dem Medien und Techniken - wie etwa Schnitzkunst oder andernorts Hinterglasmalerei - ebenso wie Sichtweisen lediglich verfügbares Gestaltungsmaterial sind. Natürlich ist sein raumgreifendes Balsa-Band ein autonomes Werk. Es ist selbst und zugleich Haken, an den sich tatsächliche, aber auch geliehene und behauptete Kontextualisierungen und Querbezüge hängen lassen. Spürbar nimmt der zum Block verdichtete Stapel an Mitnahme-Journalen, in denen sich wiederum gezielte Verweishorizonte in Bild und Texten manifestieren, in gleicher Weise Bezug zur Minimal Art wie das konsequent räumlich gezogene Karabinerband. Im Journal knüpft Bender weitere Fäden und evoziert damit natürlich Verortung und Anspruch seiner Kunst innerhalb des Verweissystems Kunst. Wenn darin unter anderen Vera Frenkel´s „String Games“ anklingen, geht es um die Perspektive auf die gesellschaftliche Relevanz einer nichtselbstreferentiellen Dimension von Kunst. Die kanadische Künstlerin beschäftigt sich seit den 70er Jahren bis heute in ihrer interdisziplinären Praxis gerade mit den Wechselbezügen von Machtsystemen, Narrativen institutioneller und individueller Art sowie der Medialität von Erzählformen unserer Welt.

 

Stellvertretend für das Gesamtwerk ist auch das Karabinerband in Schwebe, es ist spielerisch beiläufig und doch ernsthaft gewollt, voller Assoziationen und zugleich absichtslos leer, weist Spuren von handwerklicher Könnerschaft und verwischter Autorenschaft auf, von romantischer Sinnlichkeit und reiner Kopfsache. Hans Schabus spricht in seiner Kunst - in Analogie zum Tunnelbau, bei dem von zwei Seiten gegraben wird - von einem Rendezvous-Problem zwischen Werk und Betrachter. Der Tunnelbau kennt die Praxis eines Versicherungshakens, um die Trefferquote von Stoßrichtungen zu erhöhen. Diesen Haken liefert Bender nicht nur mit den Karabinern, er nimmt mit seinem Seil, das tatsächlich in Höhe eines Handlaufs montiert ist, seine Besucher gedanklich an die Hand. Die Kette ist formal zwar geschlossen, doch es gibt eine Reihe von Andockstellen, um sich selbst zu verknoten.